Die roten Handschuhe - Eine Kurzgeschichte
- Dana Wedowski
- Sep 28, 2019
- 4 min read
Updated: Jul 27, 2020
Ich habe früher immer gedacht, Kurzgeschichten lägen mir nicht. Unter einem epischen Roman, natürlich autobiografisch geprägt und hoffnungslos verkitscht, würde ich es nicht machen. Meine angeborene Ungeduld und die Angewohnheit, das Geschehen um mich herum in Notizbüchern zu dokumentieren, führten mich schließlich doch auf den Weg des Kurzen: Kolumnen, Szenen und eines unglückseligen Dezembertages eine Email, in der ich folgende Geschichte an meine liebste Freundin schickte....

Es waren die Handschuhe. Rotes Leder, mit drei kleinen Knöpfen am Handgelenk, und innen helles Kaschmir. Sie hatte sie zu ihrem 21. Geburtstag geschenkt bekommen, vor zwölf Tagen. Sie trug gar nicht sehr oft Handschuhe, aber diese hatte sie haben wollen, weil sie so schön aussahen. Russische Eisprinzessinnen, Cruella de Ville, Belle Waltling, ein wenig Skandal, ein wenig Dekadenz, ganz dezent aus dem Ärmel eines warmen Fellmantels hervorblitzend, all das sah sie in diesen Handschuhen. Sie trug sie in der Hand, an ihren Körper gepresst, weil sie es konnte und weil sie sie schön fand. In der Bahn legte sie sie in ihren Schoß, gemeinsam mit ihrem weichen Schal, ein kleines Bündel, auf das sie ihre Tasche stellte und darüber ihr Buch legte. Die Bahn fuhr nicht, auf dem anderen Gleis ging schon die nächste ab. Die Ansage kam "Abfahrt verzögert sich", und die zweite andere fuhr ein, und sie wollte es nicht darauf anlegen zu spät zu kommen, selbst wenn es nicht so schlimm war, also hob sie ihr Buch und schulterte ihre Tasche und sprang aus der Tür.
Er war es. Er verlor öfters Dinge, alltägliche Gegenstände über die er kaum nachdachte. Und er trug meistens Handschuhe, und einen Schal und eine Mütze. Trotzdem waren seine Finger kälter als ihre, fest umschlossen von seiner Hand. Ihr war selten kalt wenn er bei ihr war, und wenn doch dann lehnte sie sich an ihn und versank in den Tiefen aus Mantelstoff und Reißverschlüssen und Hemdkragen und warmer Haut. Manchmal war ihr regelrecht heiß, sobald sie einen Raum betrat, und sie riss an ihrer Jacke und fächelte sich zu und er schaute sie nur an und lächelte mit den Augen und sagte "Du bist verrückt". Und dann würde er sie küssen.
Sie bemerkte es erst an der Ubahn-Station, zu routiniert auf ihrem eiligen Weg die Treppen hinauf und hinunter um darüber nachzudenken. Fluchte, als das unheilvolle Gefühl sie erfasste und fest zugriff. Sie rannte zum Fundbüro und schoss den Gedanken an pünktliches Ankommen in den Wind. Hätte sie das doch nur eine halbe Stunde zuvor getan. Der Mann war nicht so verständnisvoll wie man es erwarten könnte, an einem Ort den sicherlich häufig Verzweifelte besuchten. Verlustmeldungen online aufgeben. Den Zug könne man nicht verfolgen. Sie glaubte ihm nicht, doch sie konnte nicht verweilen und wem sollte man glauben, wenn nicht dem einen Menschen, der alles darüber wissen müsste? Sie ärgerte sich und lief zurück zum Gleis der Gegenrichtung; vielleicht stand der Zug noch, vielleicht kam er gerade erst an.
Er hatte gedacht, sie hätte es bemerkt. Er hatte gehofft, sie wäre nicht so überrascht; wäre nicht so geschockt. Der Schmerz in ihren Augen war frisch und grausam und er konnte ihn nicht lindern. Er war ihr voraus, war anders abgebogen und sie fand den Weg nicht. Frage um Frage und er antwortete auf manche, und es waren nie die richtigen Fragen und jede Antwort tat ihr weh.
Der Bahnhhof versank im Chaos. Die Bahnen standen an den falschen Gleisen und fuhren nicht auf den richtigen. Die Treppen führten immer nur nach oben, und ihr wurde so heiß, dass sie beinahe wieder fror, als sie Stufe um Stufe hinaufklapperte, ihr Handy in der Hand, die Verlustmeldungsseite vergeblich aktualisierend. Sie flog an Menschen vorbei die suchend umherblickten wie sie, blieb manchmal hängen, um nach dem Bahnhof zu fragen von dem sie kam. Nicht zu erreichen, sagten die Leute, versuchen Sie es mit dem Metronom, und sie nickte und lief weiter und wieder auf das falsche Gleis und wieder die Treppe nach oben. Die Ubahn kostete Zeit, der Bus war keine Alternative, sie hatte keine Zeit, sie war zurück am Hauptbahnhof und das Gedränge löste sich auf und die Bahnen fuhren wieder. Sie riss ihr Haar nach oben, weg aus ihrem Nacken, weg aus ihrem Gesicht. Anderthalb Stunden später. Sie wusste nicht mehr, nach welcher Bahn sie suchte, welcher Wagen der richtige war, in welche Richtung sie musste. Sie wollte nach Hause.
Sie gingen nach Hause. Die Luft war klirrend kalt, doch der Weg war kurz. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, und sie spürte die beruhigende Schwere. Sie gingen auf der Straße, denn es war spät und es fuhr kaum je ein Auto durch die Häuserreihen. Ihre Schritte knackten auf dem stillen Asphalt und sie sprachen über etwas, vermutlich den Abend, das Pokerspiel und den schlechten Film. Er schloss die Tür auf und sie ging die enge Wendeltreppe hinauf, bedacht darauf, auf dem alten Holz nicht zu stolpern, über ein Buch oder ein Paar Schuhe. Er war nicht ordentlich, und sie war es auch nicht. Sie sah sich im Spiegel, mit roten Wangen und verwehtem Haar. Zog den Mantel und die Schuhe aus, setzte sich, zog die Beine unter sich und kuschelte sich an ihn. Rechtes Knie in seinem Schoß, linke Hand auf seiner Brust, kalter Finger in seiner warmen Halskuhle. Den Kopf zwischen Kinn und Schulterbeuge. Sie spürte die Vibration seiner Stimme. Sie konnte ihren Herzschlag nicht von seinem unterscheiden. Er las ihren Brief, leise für sich. Dann lachte er und sagte "Ich liebe dich" und er küsste sie und sagte "Ich liebe dich" und sie würde ihm sagen, dass sie ihn auch liebte.
Und sie weinte, als sie in der Bahn saß, und sie weinte als sie ankam, und es war als würde alle Traurigkeit die sie je erlebt hatte in ihr aufsteigen, weil sie ja nie aufgehört hatte, traurig zu sein. Es waren nicht die Handschuhe, und doch weinte sie ihnen nach; er war es, und sie weinte um ihn und sie rannte in ihrem Kopf die Treppen hinauf, und hinauf und hinauf, und sie konnte ihn doch nicht finden.
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