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Tesafilmglück - Von (teilweise) offenen Beziehungen

  • Writer: Dana Wedowski
    Dana Wedowski
  • Mar 22, 2020
  • 4 min read

Ich habe vor einigen Monaten einen Mann kennengelernt. Ich sage entschieden “Mann“ anstatt Typ, um darauf hinzuweisen, dass er älter ist als ich, und zwar sieben Jahre. Er ist in einem Alter, in dem ich hoffe, ein ziemlich anderes Leben zu führen, als er es momentan tut. Er studiert noch (etwas, das ich mit großer Sicherheit ausschließen kann, da ich mein Studium faktisch und mental abgeschlossen habe), lebt in einer WG (etwas, das ich insofern ausschließe als dass ich absolut ungeeignet bin, mit jemandem zusammenzuleben, mit dem ich nicht schlafe) und spricht über die Zukunft als wäre sie eine Wundertüte, die er jeden Tag aufs Neue am Kiosk erwirbt (er sagte “später will ich mit meiner Familie hierherziehen – aber ich sage auch, später schreibe ich noch eine Klausur, insofern“). Mit ihm einen Abend zu verbringen bedeutet, ein Gesprächsknäuel durch den Raum zu werfen und dann gemeinsam Fäden verlieren, gedankenverloren aufreiben und zu Knoten vertäuen.

Kein Wunder also, dass sein Beziehungsstatus ebenfalls mehr als unübersichtlich ist. Nach einer romantischen, monogamen, einverständlichen Beziehung, laufen mir in letzter Zeit hauptsächlich Gastspielinteressierte über den Weg. Typen, denen etwas in ihrem Verhältnis fehlt, die es aber nicht zugeben und als Höhenschwankungen verkaufen; oder solche, die behaupten, es sei legitim, außerhalb einer intakten Verbindung zusätzlichen Spaß zu haben. Ich glaube beiden kein Wort, und das muss ich auch nicht. Für mich ist das ganz einfach, meine Rolle ist in beiden Fällen klar. Doch für diesen Mann will ich sie nicht spielen. Dieser Mann, er behauptet, nicht ausschließlich an meinem Körper interessiert zu sein, auch wenn er sein Bein auf dem Heimweg gegen meines presst und mein Gesicht in beide Hände nimmt. Dieser Mann, er hat trotzdem eine Freundin. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen wahrhaften Single kennengelernt habe. Traut sich niemand mehr, alleine zu sein? Zieht man Doppelleben und Entgleisungen und Tesafilmglück der Romantik des Wartens auf die wunschlose Verzückung vor?


Offene Beziehung, oder ganz lyrisch, wie dieser Mann es mir eröffnete (via Textnachricht, ich im gelben Kleid, das mir ausgesprochen gut steht), “Polyamorie“, wenn ich das noch einmal höre, muss ich laut lachen. Der eine führt eine solche ganz alleine, ohne das Wissen seiner Partnerin, und das, mein Herz, ist immer noch eine altmodische Affäre. Der andere rekrutiert mich als Teilnehmerin in seinem persönlichen Wasauchimmer-Karussell und sagt dann unsere Pläne ab, weil seine Freundin die Beziehung nun doch schließen will. Vier Wochen später sind die Zügel wieder so weit gelockert (oder sein Pflichtbewusstsein so betäubt), dass wir uns sehen. Wollknäuel, zwei Gläser Wein und drei Zigaretten, die er eigentlich gar nicht mehr raucht, 22 Chicken McNuggets auf dem Bahnsteig in trauter Übereinkunft, was die Vorteile von Fast Food angeht. Ich sitze ihm in der Bahn gegenüber und tauche meinen schwachen Moment in einer Phase des Vegetarismus in die süß-saure Soße, sehe ihn skeptisch an, während er herumdruckst und sich in seinem Sitz windet, die langen Beine quer durch unser Abteil gestreckt. Was offen bedeute. Könne man eigentlich gar nicht sagen. Die Beziehung nicht durch Regeln und Definitionen in Verträgen verderben, bevor man überhaupt wisse, wie sich das dann anfühle. Ich weiß manchmal nicht, ob ich weiß, was er meint, aber ich weiß, dass ich nicht zustimme. Liebe regelt das von ganz alleine. Den anderen brauchen, wollen, lieben, nicht teilen mit Fremden, auch nicht die geflüsterten Komplimente, den Moment vor dem Kuss, die verschränkten Hände im Bett, die Körperflüssigkeiten und das Lachen in der Dusche. All das alleine ist vielleicht nicht dasselbe wie eine Beziehung. Aber all das mit jemand anders – das kann nicht sein, nicht wenn man wirklich liebt, das ist nicht vorstellbar, nicht erträglich. Und warum auch?


War es absolut okay für ihn, als seine Freundin anfing, mit anderen Männern zu schlafen? Weil sie unglücklich war. Warum haben sie sich nicht getrennt? Warum kann er ihr nicht geben, was sie glücklich macht? Oder hat er sich gefügt, zugestimmt, weil er sie nicht komplett verlieren wollte? Hat er selbst regelmäßig andere? Oder darf er das gar nicht? Will er das? Hat er ihr von mir erzählt? Sie reden da “gar nicht so drüber“. Worüber reden die beiden überhaupt? Wie lässt sich so etwas leben, so eine Unklarheit, so eine lose Vereinbarung, sodass er mich ansieht wie ein Kind den Weihnachtsbaum und rotweingetränkte Versprechungen macht, die ich nie ernst nehmen, aber umgekehrt niemals machen würde. Ich brauche Kommunikation, ich brauche Wahrheiten. Was ich nicht gebrauchen kann, ist nur noch mehr von dem schlechten Gewissen und Momente im gelben Kleid, in denen ich mich fühle, als hätte mir jemand als Letzte gesagt, was ich nicht hören wollte. Eine schöne Fantasie, “Realitätsflucht“ wie er sagt, nur dass ich real bin und fantastisch. Niemand möchte sich mehr hingeben. So vollständig, hundertprozentig, alles auf einmal. Stattdessen verteilt man sich partiell in Stücken an verschiedene Leute, die vermutlich alle etwas weniger verdienen: Vorherbestimmt, zwanzig Prozent Festkapital für den Partner, der Rest mit ungewissem Verwendungszweck. Oder spontan, vierzig Prozent dem einen, zehn Prozent dem anderen und fünfzig Prozent behalten, zu ängstlich, zu von sich selbst eingenommen, zu spontan (Lies “bindungsunfähig, gefühlt“). Natürlich, sich hinzugeben ist riskant: Wenn es niederbrennt, dann das Innere, vollständig, bis die Asche in einem leeren Raum hinab schwebt und nichts bleibt, außer Atemnot und der Angst vor dem Feuer. Doch in Stücke verteilt, niemals sicher, nur verliehen, auf Zeit vermietet, auf die Vorschau begrenzt, findet man sich immer wieder auf dem Badezimmerboden, fragend, warum man sich unvollständig fühlt. Obwohl doch so viele Menschen Anteil nehmen, nächste Woche und letzten Dienstag und die drei Stunden im Frühling, nur nicht heute Abend, alleine im Bett mit kalten Füßen und unbestimmter Traurigkeit.

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