Ballett & Geschmacksverirrung
- Dana Wedowski
- Jun 9, 2021
- 3 min read
Der Schneesturm
Am Samstag passierte etwas Wunderbares: Ich ging in eine Ballettaufführung. In der Bayerischen Staatsoper wurde „Der Schneesturm“ gegeben, eine Erzählung von Alexander Puschkin und T hatte am Abend zuvor Karten erstanden, während ich kurzzeitig eingeschlummert war. Der ganze Tag wurde in heller Aufregung verbracht: Während Guardians of the Galaxy Vol.2 lief (nur noch zehn Filme oder so, bis das Marvel Universum hinter mir liegt) legte ich meine Haare in Locken, lackierte meine Fußnägel, obwohl ich Strümpfe tragen würde, suchte ein schwarzes Satin-Kleid aus, schlürfte gesundes Pho und schminkte meine Augen.
18:45h
Um halb Sieben hat der Einlass begonnen, wir peilten Sieben für unsere Ankunft in der Schlange an. Habe das samstagabendliche Aufkommen der ausgehfreudigen Münchener unterschätzt, die natürlich auch alle einen Schnelltest machen wollten und nun vor uns am Testzentrum anstanden. Nachdem wir zweimal umsonst quer über den sonnenbeschienenen (durchgeschwitzt) pflastergesteinten (fast umgeknickt) Max-Joseph-Platz (ein besserer Kreisel mit tollem Ausblick – die Leute setzen sich heutzutage auch auf jeden verfügbaren Randstein) gesprintet waren (blödes Google Maps) teilten wir uns auf.
18.50h
Jeder von uns bekommt ein Teststäbchen in die Nase geschoben und macht sich postwendend auf zum Treffpunkt. Hach, die Maximilianstraße: Schmuck, Couture, und Kultur, vor der ich bei schönster Abendsonne malerisch rumstehe. Wir warten neben einer Gruppe rauchender Tontechniker auf die Ergebnisse und beobachten die Schickeria beim Smart-Einparken (kläglichem Scheitern). Mir tut es leid, ich will auch nicht unbedingt beim Parken gesehen werden. Aufs Endergebnis kommt es schließlich an.
18:14h
T ist unglücklich, weil sein Ergebnis nicht nach exakt 20 Minuten da ist. „Das kann ja auch schneller gehen.“ „Das kann halt auch länger dauern“, sage ich. Er läuft los, um nach einer gedruckten Version zu fragen, ich stelle mich auf der schönen Treppe vor der Oper an, um Karte und Testergebnis vorzuzeigen, bevor mein Handy den Geist aufgibt (15%).
18:20h
Die deckenhohen Spiegel! Der weiße Marmor! Der smaragdgrüne Samt! Beglückt schreiten wir durch die Eingangshalle, der dicke Teppich vor den Galerietüren schluckt unsere Schritte. Wir sitzen ganz oben im rosa-weißen Samtparadies, direkt vor unserer Nase baumelt der exquisite Kristallkronleuchter. Das Orchester steht im Graben bereit. Für den dramatischen Effekt fährt der Leuchter ein paar Zentimeter nach oben, als das Licht ausgeht und die Streicher den Bogen anlegen. Mir kommen fast die Tränen – die feierliche Stimmung, die fein gekleideten Leute, die märchenhafte Ästhetik, die getragene Live-Musik, der Mann neben mir, das alles ist so ergreifend und erwachsen und gleichzeitig voll kindlicher Vorfreude. Die Geschichte ist typisch russisch, ein bisschen verwirrend, hochdramatisch und toll getanzt. In der Pause stehen wir vor den Stufen und blicken auf die von der untergehenden Sonne angestrahlte Säulenfassade (und trinken dabei was. Starren also nicht stumpf auf Säulen).
21:45h
Ich zwinge T, endlich ein paar Fotos von mir vor dem Theater zu machen. Unpraktischerweise kreiseln ständig Autos drum herum. Heldenhaft werfe ich meine Jacke von mir, um mein schulterfreies Kleid zur Geltung zu bringen.
21:49
Ich finde meine Maske nicht – sie muss heruntergefallen sein, als ich meinen Mantel auszog. Weigere mich, zurückzugehen und eine auf dem Boden liegende Maske unbesehen überzuziehen. Muss in umliegenden Restaurants betteln, um zumindest eine medizinische Maske für den Gang durch die Innenstadt zu bekommen. Spendiere ein Taxi, um den Abend unfreiwillig und doch passenderweise glamourös ausklingen zu lassen.

Griechisch
Beflügelt von diesem gelungenen Tag/Abend war ich Sonntag motiviert genug, um mich anzuziehen und draufloszulaufen auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Sonne zu nutzen. Setzte mich mit Dolly Alderton’s Ghost vor ein griechisches Eckrestaurant – ich esse nie griechisch. Schwankte zwischen Ofen-Artischocke und einer gemischten Platte, entschied mich für die Artischocke und nannte unerklärlicherweise bei der Bestellung die Platte. Der Kellner erzählte mir trotz meines demonstrativ aufgeschlagenen Buches von seiner Heimat, fragte, wie lange ich schon in Deutschland sei (wo ich herkäme, wurde ich schon immer gefragt, dass diese Frage voller Überzeugung übersprungen wird, ist neu) und brachte mir das Wort „Jamas“ für „Prost“ bei, bis mein demonstrativ aufgeschlagenes Buch seine Wirkung tat. Ich habe kein Problem damit, alleine essen zu gehen – zuhause isst man schließlich auch alleine und bekommt dabei nur weniger Sonne ab. Die gemischte Platte schmeckte ganz annehmbar. Ein nächtlicher Anfall von Übelkeit hat mir griechisches Essen jedoch nun endgültig verdorben, fürchte ich.

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